Jeder Mensch ist irgendwie verwundet und jeden stellt das Leben vor eigene Herausforderungen. Sobald wir das erkennen, öffnet sich unser Herz dem warmen Strom bedingungsloser Liebe und grenzenlosen Mitgefühls für uns selbst und für andere.

Doris Kirch

WAS IST SELBSTMITGEFÜHL?

Selbstmitgefühl bedeutet uns selbst gegenüber freundlich und verständnisvoll zu sein, anstatt uns hart zu verurteilen oder kritisch anzutreiben. Ein selbstfreundlicher Mensch behandelt sich selbst genauso mitfühlend und nachsichtig wie einen guten Freund oder eine gute Freundin. Durch diese innere Haltung kann das eigene Beruhigungs- und Fürsorgesystem aktiviert werden, wodurch Stress und emotionaler Schmerz abgebaut wird. Besonders wichtig ist diese emotionale Resilienz in verletzlichen Momenten, zum Beispiel dann, wenn wir nicht perfekt sind, mit uns selbst hadern oder Fehler machen. Auch bei Erkrankungen und Schmerzen kann sie uns helfen, mit unveränderlichen schwierigen Bedingungen besser umzugehen.

Der Begriff „Selbstmitgefühl“ ist in Deutschland vorurteilsbesetzt und wird schnell mit Selbstmitleid verwechselt. Dr. Chris Germer, der Mitbegründer von MSC, schlägt in einem Interview vor, Selbstmitgefühl in der deutschen Sprache mit dem Begriff „emotionale Resilienz“ zu beschreiben. (https://www.arbor-online-center.de)

Selbst­mitgefühl ist kein Selbst­mitleid. Wenn man Selbst­mitleid empfindet, dann taucht man völlig ein in die eigenen Probleme und vergisst, dass andere eben­falls ähnliche Probleme haben. Selbst­mitleid verstärkt das ego­zentrische Gefühl des Getrennt­seins von allen anderen und führt zu einem noch größeren Ausmaß an persön­lichem Leiden. Achtsames Selbst­mitgefühl dagegen ermöglicht es, etwas Abstand zu gewinnen zu der Situation und eine ausge­glichenere Perspek­tive zu entwickeln. Wir lernen dadurch aus dem „inneren Drama“ auszusteigen.

WIE KANN MAN SELBSTMITGEFÜHL ERLERNEN?

Viele Menschen in unserem Kulturkreis haben es nicht gelernt, freundlich mit sich selbst zu sein. Dabei kann jeder und jede eine selbstmitfühlende Haltung erlernen, auch Menschen, die in ihrer Kindheit vielleicht wenig Liebe und Zuneigung erfahren haben. Wie bei vielen Dingen im Leben ist auch Mitgefühl für sich selbst eine Übungssache.  Je öfter wir unsere mitfühlende Stimme erkennen und einsetzen, desto besser werden wir darin. Es gibt verschiedene Möglichkeiten um Achtsames-Selbstmitgefühl zu lernen. Eine davon ist der evidenzbasierte MSC Kurs, nach Neff & Germer, der hilft mehr Achtsamkeit & Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln. Je nach Anliegen und aktueller psychischer Verfassung kann ein Selbstmitgefühlstraining auch im Einzelcoaching erfolgen oder eine Psychotherapie ergänzen.

WIE WIRKT MITGEFÜHL FÜR UNS SELBST?

Neurobiologisch aktiviert Mitgefühl sowohl unser Beruhigungssystem, als auch das Fürsorgesystem. Dadurch werden verschiedene Bereiche im Gehirn, die für die Emotionsverarbeitung und die emotionale Kompetenz zuständig sind, positiv stimuliert.

Eine Abnahme von Stressgefühlen entsteht, das vegetative Nervensystem kann sich beruhigen und der Parasympathikus (der für Ruhe & Regeneration zuständig ist) wird aktiviert.

Dadurch können unser Körper und unser Geist

  • regenerieren und neue Kraft, Zuversicht und Mut entwickeln
  • uns selbst vergeben, Motivation aufbringen um erneute Versuche zu starten
  • Widerstandskraft entwickeln
  • negative Gedankenschleifen, Selbstkritik und Selbstmitleid durchbrechen
  • mit schwierigen Gefühlen wie Angst, Schmerz, Panik oder auch Scham umgehen
  • eine liebevolle Beziehung zu uns selbst zu entwickeln

MSC- Selbstmitgefühl ist ein wirksames Gegenmittel bei Neigung zu Perfektionismus, Selbstkritik, Angst & Panik

DIE DREI KOMPONENTEN DES SELBSTMITGEFÜHLS

ACHTSAMKEIT VERSUS ÜBERIDENTIFIZIERUNG

Damit wir mitfühlend auf uns eingehen können, müssen wir zunächst erkennen was da gerade an Gefühlen, Gedanken und körperlichen Reaktionen ist. Achtsamkeit ist ein Zustand ausgewogenen Gewahrseins. Was ist da im Moment, was fühle ich, was nehme ich wahr? Wir unterdrücken nichts, wir lassen uns aber auch nicht mitreißen von dramatischen Handlungen und kreisenden Gedanken. Dies bezeichnet man als Überidentifikation.

GEMEINSAMES MENSCHSEIN VERSUS SELBSTISOLIERUNG

Wir lernen, unsere Erfahrungen (nicht perfekt sein, Schmerzen…) als Teil der allgemeinen menschlichen Erfahrung zu erkennen. Es gehört zum Menschsein dazu, dass ich leide. Anderen Menschen geht es auch so. Die häufige Reaktion auf solche Erfahrungen ist stattdessen, dass wir uns isolieren und denken, dass alle anderen ein glückliches und perfektes Leben haben.

SELBSTFREUNDLICHKEIT VERSUS SELBSTVERURTEILUNG

Wir reagieren auf das, was wir an (schwierigen) Erfahrungen in uns wahrnehmen selbstfreundlich und wohlwollend statt kritisch und selbstverurteilend. Wir trösten uns selbst für schwere Gefühle, kritische Gedanken und körperliche Probleme Die Frage, die wir uns innerlich stellen, ist: Was brauche ich jetzt?

Selbstmitgefühl ist dabei nicht nur etwas Weiches, Umsorgendes, sondern umfasst auch kraftvolle, motivierende Elemente. Die innere wohlwollende Haltung unterstütz uns auch darin Grenzen zu setzen, ins Handeln zu kommen, uns zu motivieren und Mut zu entwickeln, die nächsten Schritte zu gehen. (vgl. Germer, Neff. Mindful-Self-Compassion Teacher Guide, San Diego 2019)

BEDENKEN UND FORSCHUNG ZUM THEMA SELBSTMITGEFÜHL

Es gibt besonders in unserem Kulturkreis auch Bedenken gegenüber Selbstmitgefühl. Oft betreffen diese die Idee, dass Selbstmitgefühl eine Art Selbstmitleid oder innere Schwäche ist, in der man versinkt und sich „gehen lässt“. Auch die Idee, dass es egoistisch sei oder Menschen zu egozentrischen Personen macht, ist manchmal zu hören. Manche äußern die Sorge, dass es die eigene Motivation schwächt und damit eine schlechtere Arbeitsmoral entsteht. Es gibt auch die Bedenken, dass man persönliche Hindernisse nicht überwinden kann auf dem Weg zu mehr Selbstmitgefühl. Wie zum Beispiel, dass man sich hilflos fühlt, dass man von „negativen Gefühlen“ überwältigt wird, dass man es ja nicht verdiene so freundlich zu sich zu sein.

Das Forschungsinteresse an Selbstmitgefühl ist momentan sehr hoch. Die Studienlage zum Thema Selbstmitgefühl und die Auswirkungen auf das Gehirn und die Psyche, beweisen zu allen genannten Bedenken gegenteilige Effekte.

Die Forschung zeigt, dass Selbstmitgefühl mit einem größeren Wohlbefinden, mit mehr Glücksempfinden und Lebenszufriedenheit einhergeht. Menschen mit mehr Selbstmitgefühl haben ein größeres Verbundenheitsgefühl gegenüber anderen Menschen und isolieren sich weniger. Konstrukte wie Stress, Essstörungen, Depression und Ängste können durch Selbstmitgefühl verringert werden kann. Wissenschaftliche Studien zeigen auch, dass Menschen mit Selbstmitgefühl weniger Angst vor Versagen haben und sich besser motivieren können. Sogar die Immunfunktion kann sich durch mehr Mitgefühl verbessern.

Neff und Germer untersuchten in einer Studie die Wirksamkeit des Mindful Self Compassion Programmes. Es zeigte sich bei den AbsolventInnen des MSC-Kurses:

  • Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und Mitgefühl für andere nahm zu
  • Stress, Ängste und Depressionen gingen zurück
  • Lebenszufriedenheit, Glücksempfinden und tragende zwischenmenschliche Beziehungen nahmen zu
  • diese Verbesserungen waren auch 1 Jahr nach Kursabschluss weiterhin vorhanden
  • sie hingen davon ab, wie oft die Kursteilnehmenden Selbstmitgefühl praktizierten

Unser Gehirn ist in der Lage, sich zu verändern. Forscher bezeichnen dies als Neuroplastizität. Wie bei einem Muskeltraining kann das Erlernen und Einüben von Meditation und Selbstmitgefühl bleibende Veränderung im Gehirn hervorrufen. Neuroplastizität – Wie Meditation das Gehirn verändert, Potenzial entfaltetZen Südpfalz (zen-suedpfalz.de)

(Vgl. Germer, Neff. Mindful-Self-Compassion Teacher Guide, San Diego 2019)